Lesung: Richard David Precht, Hamburg, 16/09/2018

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Der Philosoph Richard David Precht stellt in der Hamburger Laeiszhalle seinen neuen Roman Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft vor, in dem er die Veränderungen der immer weiter voranschreitenden Digitalisierung thematisiert.

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Der Einstieg der Lesung ist sehr humorvoll gestaltet. Precht äußert sich zunächst kritisch über den Beruf des Philosophen. Philisophen hätten gar kein Wissen, so sagt er. Was sie allerdings haben, ist die Kompetenz, dies zu kompensieren. Also eine Inkompetenz-Kompensations-Kompetenz. Diese humorvolle Note zog sich durch den gesamten Vortrag.

Precht analysiert zunächst, welche Berufe in einer digitalisierten Welt noch zukünftsfähig seien. Schlechte Perspektiven prognostiziert er vorrangig den Steuerberatern und Juristen. Generell sieht er hier vor allem die besser bezahlten Berufe bedroht. Er untermauert seine Ansicht mit dem Beispiel des Spargelstechers: Der Beruf werde ohnehin schlecht bezahlt, es lohne sich daher vor allem bei den hohen Lohnklassen einzusparen. Ein Beruf, der hier allerdings nicht betroffen sein wird, sei der des Scheidungsanwalts – hier gehe es schließlich nicht um Wahrheiten, fügt er ironisch hinzu.

Gute Karten in einer digitalisierten Welt räumt er den IT-Berufen ein. Eine große Problematik bestehe jedoch darin, die freien Stellen auch mit Fachkräften besetzen zu können. Er vergleicht die Situation mit dem aktuellen Fachkräftemangel in verschiedenen Bereichen: Freie Stellen nützen niemanden, wenn es keine Bewerber gibt, die diese Berufe ausüben möchten. Als Schlagwort nennt er hier die Selbstbefähigung: Selbst wenn es unzählige freie Stellen gibt, so wird es immer Menschen geben, die sich aus unterschiedlichen Gründen für diese Stellen nicht befähigt fühlen.

Die Herangehensweise, Kinder bereits früh an diese Themen heranzuführen, um sich so die neuen Fachkräfte von morgen heranzuziehen, hält er für bedenklich. Er gibt das Beispiel der musikalischen Früherziehung, wo er später eher den Prozentsatz bei denjenigen erhöht sieht, die in ihrem Leben nie wieder etwas mit Musik zu tun haben wollen, als bei denjenigen, die sich schließlich für einen solchen Beruf begeistern werden.

Zum Ende der Lesung verlor sich meiner Meinung nach der rote Faden ein wenig. Verschiedenste Themen wurden hier noch angesprochen. So auch das Schulsystem, das nach einem gewissen „Schrotflintenprinzip“ lehre. Statistisch gesehen bleiben nur etwa 3–4% der Dinge tatsächlich hängen, die man in der Schule lernt. Da stellt sich natürlich die Frage, wozu man überhaupt die restlichen 95% lernt – weil jeder sich eben etwas anderes merkt, bemerkt Precht, Schrotflintenprinzip eben.

Insgesamt glich die Veranstaltung eher einer (politischen) Kundgebung als einer Lesung. Was ich vor allem vermisst habe, war ein wenig Hintergrundwissen vom Autor zum Entstehungs- und Schreibprozess seines Romans. Für eine Lesung war der Vortragsstil für meinen Geschmack zu sehr Kundgebung, vor allem zum Ende hin wurde die Aufmachung immer reißerischer. Möglicherweise lag dies auch an der Stimmung, die vom Publikum transportiert wurde. Vehementes zustimmendes Klatschen gehören für mich allerdings weniger zu einer Lesung als auf eine Kundgebung.

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